Gräberfeld

»Der Schutz von Kriegsgräbern währt ewig«

Bremen: Skelettfunde auf »Russenfriedhof« erhöhen Druck auf Landesregierung, die dort bauen lassen will. Ein Gespräch mit Ekkehard Lentz
Interview: Kristian Stemmler


Ekkehard Lentz ist Sprecher des ­Bremer Friedensforums
Sie wenden sich gegen eine Bebauung des sogenannten Russenfriedhofs im Bremer Stadtteil Oslebshausen. Ein Gutachten der Universität Gießen, an dem der renommierte Völkerrechtler Thilo Marauhn, beteiligt war, hat nun ergeben, dass eine Bebauung wohl völkerrechtswidrig wäre. Hat Sie diese Bewertung überrascht?

Überhaupt nicht. Eine ähnliche Bewertung gab es schon bei einem ersten Gutachten im vergangenen Jahr. Beide Expertisen belegen: Der Schutz von Kriegsgräbern im humanitären Völkerrecht ist zeitlich nicht begrenzt, währt also ewig. Als Kriegsgräberstätte wird ein Ort verstanden, an dem Kriegstote ihre Ruhestätte gefunden haben. Exhumierungen und Umbettungen sind im Grundsatz nicht vorgesehen. Ausnahmen müssen erheblichen Anforderungen genügen. Bremen hat bislang nicht offengelegt, auf welcher Grundlage die aktuell laufenden Exhumierungen stattfinden.

Würde das Areal seinen Status als Kriegsgräberstätte verlieren, wenn die Bremer Landesarchäologie alle sterblichen Überreste exhumiert?

Offizieller Anlass der Grabungen der Bremer Landesarchäologie, die aufgrund des Drucks der Bürgerinitiativen und des bundesweiten Medieninteresses im August 2021 begannen, war nicht die Exhumierung von Kriegstoten, sondern die Suche nach vermissten Leichnamen. Dokumente belegen, dass mindestens 300 von ihnen bisher nicht exhumiert und umgebettet wurden. Allerdings dürften viele Leichname nach 80 Jahren Liegezeit bereits vollständig verwest sein. Diese Kriegstoten könnten dann auch nicht mehr umgebettet werden. Damit bliebe der Status als Kriegsgräberstätte dauerhaft bestehen.

Vor einer Woche wurde auf dem Gelände ein vollständiges Skelett gefunden. An diesem Montag wurde gemeldet, dass weitere acht Skelette entdeckt wurden. Was ändert das an der Sachlage?

Bürgermeister Andreas Bovenschulte, SPD, hatte die Latte selbst zuletzt immer höher gelegt. Zunächst stellte er die Frage, ob es überhaupt sterbliche Überreste gibt. Als diese schnell gefunden wurden, fragte er, inwieweit diese relevant seien. Zuletzt forderte er ein ganzes Skelett als Voraussetzung, um von den Bebauungsplänen abzusehen. Die jetzigen Funde belegen, dass Leichen hier über 80 Jahre »vergessen« wurden. Damit erhöht sich der Druck auf Bovenschulte.

Der Bremer Senat will offenbar das Vorhaben des französischen Schienenfahrzeugherstellers Alstom durchdrücken, auf dem Gelände eine Bahnwerkstatt zu bauen. Sind die Gräber für den Senat nur lästig?

Insbesondere Bovenschulte treibt das Vorhaben voran. In den drei Regierungsparteien SPD, Grüne und Die Linke, insbesondere an deren Basis, gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Alstom ist Rechtsnachfolgerin mehrerer deutscher Bahnhersteller wie den Linke-Hofmann-Werken, die sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben. Welche Rolle spielt das in der aktuellen Auseinandersetzung?

Das ist ein enorm wichtiger moralischer Aspekt. Für die Linke-Hofmann-Werke konnten wir nachweisen, dass Arbeitssklaven und Internierte des Konzentrationslagers Groß-Rosen eingesetzt wurden. Die ausgebeuteten Menschen wurden unseres Wissens bis heute nicht entschädigt. Alstom selbst hat seine NS-Geschichte nicht aufgearbeitet.

Die »Bürgerinitiative Oslebshausen und Umzu« und das Bremer Friedensforum halten daran fest, dass auf dem Gelände eine Gedenkstätte konzipiert wird. Worauf stützt sich Ihre Hoffnung, dass das gelingt?

Bremen ist geprägt von einer Gesellschaft, die sich in der Vergangenheit engagiert für Frieden und gegen Diskriminierung eingesetzt hat. Würde es sich hier um ein Gräberfeld für US-amerikanische, französische oder britische Kriegstote handeln, hätte sich die Politik wohl längst um einen alternativen Standort für die Bahnwerkstatt gekümmert. Diesen diskriminierenden Umgang mit sowjetischen Opfern der Naziverbrechen im Jahr 2022 lassen wir nicht zu. Die Errichtung einer Gedenkstätte sollte vor Ort erfolgen – und nicht 20 Kilometer entfernt.

Erstellt am: 30.01.2022
Bilder:
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