Aktuelles
Geplante Rede von Gerhard Baisch bei der abgesagten Veranstaltung: "Freiheit für Julian Assange" in Bremen.
Gerhard Baisch 12.3.20 : Beitrag für die Veranstaltung vom 13.3.2020 in Bremen zu den Prozessen gegen Manning und Assange1. Wh-Blower*innen haben nichts zu lachen: sie verlieren durch ihr Whistleblowing regelmäßig ihren Job, werden als Nestbeschmutzer, Verräter oder Denunzianten angegriffen und keineswegs für ihre Tat geachtet und gewürdigt, auch wenn sie schwere Mißstände oder Gesetzesverletzungen offenbaren. Deutschland z.B. hat bis heute kein Whistleblower-Schutzgesetz. Mehrere Anläufe sind am Widerstand der Wirtschaftsverbände und der Abgeordneten von Union und FDP gescheitert.
Besonders gefährdet sind Whistleblower*innen, wenn sie Informationen aus dem militärischen Bereich weitergeben.
Ich erinnere an Carl von Ossietzky, Chefredakteur der „Weltbühne“ . Er wurde 1931 vom Reichsgericht in einem international aufsehenerregenden Prozess zusammen mit dem Whistleblower wegen Spionage zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, weil seine Zeitschrift die nach dem Versailler Vertrag und der Weimarer Verfassung verbotene Aufrüstung der Reichswehr öffentlich gemacht hatte. Er bezahlte nach der Machergreifung der Nazis seine Unterstützung des Whistleblowers unter Torturen im Moorlager Westerwegen 1936 mit seinem Leben.
Ich erinnere an Bundeswehroberst Alfred Martin, den Whistleblower, der 1962 die Spiegel-Affäre auslöste. Er war damals Leiter des Führungsstabs des Heeres und übergab die geheime Auswertung des N ATO-Atomkriegsmanövers Fallex 62 an die SPIEGEL-Redaktion. Adenauer sprach von einem Abgrund von Landesverrat. Der SPIEGEL veröffentlichte die Studie, die Bundesanwaltschaft eröffnete ein Verfahren gegen Rudolf Augstein und Conrad Ahlers, und verhaftete die beiden wegen Landesverrat. Einen vollen Monat lang durchsuchte die StA die Redaktionsräume und fand so u.a. die Spur zum Whistleblower Martin, der dann auch verhaftet wurde. Breiter öff. Protest gegen diesen Angriff auf die Pressefreiheit führte dazu, dass BVertMin FJStrauß zurücktreten musste und die Reg.-Koalition zerbrach. Erst nach mehr als 3 Monaten wurden die Beschuldigten aus der U-Haft entlassen. Nach 3 Jahren beendete der BGH das Verfahren: kein wissentlicher Verrat von Staatsgeheimnissen, da die meisten Fakten bereits zuvor in einem Dokument des Verteidigungsausschsses (!) veröffentlicht worden waren. Das BVerfG wollte aber nicht feststellen, dass die Durchsuchung und Beschlagnahme gegen die Pressefreiheit verstoßen hatten.
Ich erinnere an Daniel Ellsberg, der 1971 über US-Zeitungen die geheimen Pentagon-Papers zur Vietnam-Kriegsführung an Zeitungen weitergab, verhaftet und wegen Spionage unter der Strafdrohung von 115 Jahren Gefängnis angeklagt wurde. Nixon ließ damals einbrechen bei Ellsbergs Psychiater in der Hoffnung auf belastendes Material und beauftragte ExilKubaner, sie sollten Ellsberg „die Beine brechen“. Seinem Richter hatte Nixon den Posten des FBI-Direktors angeboten – offensichtlich als Lohn für ein hartes Urteil. Weil das alles aufflog – durch einen weiteren Whistleblower alias „Deep Throat“ - musste der Richter das Verfahren einstellen.
2. Wir sehen: die Whistleblower, die es mit einer Regierung aufnehmen, leben gefährlich, sind ihres Lebens nicht sicher, riskieren zumindest hohe Freiheitsstrafen. Die investigative Presse hatte dagegen in der Regel bisher nichts zu befürchten gehabt, wenn sie leaks veröffentlichte. Sie konnte sich auf die Pressefreiheit und den Informantenschutz berufen.
Z.B. im Fall der Pentagon-Papers: Die Nixon-Regierung schäumte, als die ersten Teile veröffentlicht wurden und konnte eine einstw. Verfügung erlangen, die der NYTimes und der Washington Post den Abdruck weiterer Teile verbot. 3 Wochen später hob der Oberste Gerichtshof mit einer 6:3-Mehrheit diese Publikationsverbote als verfassungswidrig auf. Weltweit wurde dies als Sieg der Pressefreiheit gefeiert. Die Journalisten, die die Pentagonpapiere veröffentlicht hatten, blieben unbehelligt.
Krieg bedeutet notwendigerweise immer auch Kriegsverbrechen: der Anlass wird schon erlogen (ich nenne nur Tonking ,Hufeisenplan, Saddams Atom- und Biowaffen) und dann folgen zumindest als sog. Kollateralschäden: Vergewaltigung, Mord und Totschlag gegen die Zivilbevölkerung. Von daher ist es nicht erstaunlich, dass Regierungen ihre Schandtaten mit dem Geheim-Stempel zu verbergen suchen. Obama hat die US-Truppen aus dem Irak zurückgezogen, als er keine Garantie erhalten konnte, dass die neue irakische Regierung keinesfalls US-Soldaten vor Gericht stellen werde. Unter G.W.Bush hat der Kongress 2002 sogar der Regierung aufgegeben, Soldaten gewaltsam aus der Haft in DenHaag zu befreien, sollte der Internationale Strafgerichtshof ihnen den Prozess machen. Pompeo hat das vor 2 Wochen nochmals bekräftigt.
Schon 1971 haben die USA im Fall Ellsberg zur Rechtfertigung der strikten Geheimhaltung die „nationale Sicherheit“ angeführt. Aber Verfassungsbrüche oder schwere Völkerrechtsverletzungen dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat niemals Bestandteil von nationaler Sicherheit sein. Sie sind keine schützenswerte Geheimnisse! Nach dem Ersten Zusatz zur US-Verfassung können Informationen, die der Wahrheit entsprechen, niemals verleumderisch oder aufrührerisch sein. Und keine Regierung darf durch ihr Handeln die freie Rede einschränken. In Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, verabschiedet von der UN-VV am 10.12.1948, heißt es
“Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfaßt die Freiheit; Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“
Aber seit 9/11 haben wir eine gegenläufige Bewegung: mit dem US- Patriot Act von Oktober 2011 („Gesetz zur Einigung und Stärkung Amerikas durch Bereitstellung geeigneter Instrumente, um Terrorismus zu verhindern“ ) wurden fundamentale Grundrechte aus dem Ersten Verfasssungszusatz außer Kraft gesetzt und die Totalüberwachung aller Menschen auf dem Globus installiert. Umgekehrt ist die Regierung keineswegs transparenter geworden, sondern hat sich zunehmend eingeigelt. Die Zahl der jährlich mit Geheim-Stempel versehenen US-Dokumente hat sich im letzten Jahrzehnt fast verdreifacht.
Dadurch ist die Kontrolle der politischen Instanzen durch die Presse enorm erschwert. Immer mehr ist sie auf Informationen aus dem Apparat durch Whistleblower nachgerade angewiesen.
Wollen die Regierungen das verhindern, werden sie vier Maßnahmen versuchen:
- potentielle Whistleblower mit drakonischen Strafandrohungen einschüchtern und vom Go out abschrecken
- wikileaks und ähnliche internet-plattformen aus dem Schutzbereich der Pressefreiheit verbannen und verleumden, um die Solidarität mit ihnen zu schwächen
- die investigative Presse mit Strafandrohungen davon abhalten, Informationen von Whistleblowern und – plattformen zu veröffentlichen, indem sie sie dann ebenfalls als Spione behandelt
- den Quellenschutz aushebeln, wonach die Presse ihre Informanten verschweigen darf.
Und da wären wir dann beim aktuellen Fall Manning und Assange, den der Labour-Schattenminister McDonnell zu Recht als den „Fall Dreyfus unserer Zeit“ bezeichnet.
Ellsberg erklärte nach der Verhaftung von Assange: „Der erste Verfassungszusatz ist eine Säule unserer Demokratie und dies ist ein Angriff auf ihn. Wenn die Meinungsfreiheit in diesem Ausmaß verletzt wird, ist unsere Republik in Gefahr. Unauthorisierte Enthüllungen sind das Lebenselexier jeder Republik“. Und Assanges Anwalt Pollack: dieses Vorgehen gegen Assange bedroht alle Journalisten, die die Bürger über das Vorgehen der Regierung informieren wollen; sie ist das Ende des Journalismus über nationale Sicherheit.
Bisher hält sich der Aufstand der Presse gegen diesen Angriff der Sicherheitsapparate in Grenzen, so als ob es nur um Assange ginge, als ob es ein Sturm wäre, der rasch vorübergeht, spätestens mit Trumps 2.Amtszeit. Dabei wird verkannt, dass in diesem Bereich auch der Kongress , und zwar insgesamt, die Regierungen der letzten Jahre befeuert hat. Während es zuvor kaum ein Strafverfahren gegen Whistleblower unter dem Spionagegesetz gegeben hat, waren es unter Obama gleich 7.
Die internationale Kampagne gegen Assange bildet die Speerspitze der Bestrebungen von Regierungen weltweit, grundlegende demokratische Normen wie die Meinungs- und Pressefreiheit abzuschaffen.
Dass eine Anklage wegen Verstoßes gegen das Spionagegesetz gegen den WikiLeaks-Mitgründer erhoben wurde, hat die Schleusen für ähnliche Maßnahmen gegen Nachrichtenorgane in anderen Ländern geöffnet. Die Razzien der australischen Federal Police von Juni 2019 gegen Journalisten, die staatliche Spionage und Kriegsverbrechen entlarvt haben, bestätigen dies.
3. Wenn wir über Julian Assange reden wollen, müssen wir vor allem über Chelsea Manning reden.
Sie als die Whistleblowerin, er, der ihr die Plattform und damit Öffentlichkeit gibt. Ihr Schicksal nimmt vorweg, was Assange vermutlich nach einer Auslieferung in die USA zu erwarten hätte.
Im April 2010 veröffentlicht WikiLeaks das bekannte Armee-Bord-Video „Collateral Murder“. Das Video beweist, dass offizielle Stellen der USA Öffentlichkeit und Presse über den Vorfall belogen haben und das Verfahren gegen die beteiligten Soldaten zu Unrecht eingestellt worden ist. Ein ungeahndetes Kriegsverbrechen wird aufgedeckt. Es wird aber nicht gegen die Täter neu ermittelt, sondern fieberhaft das Leck gesucht.
Manning wird im Mai 2010 festgenommen. Indessen veröffentlicht WikiLeaks in Verein mit wichtigen US-Zeitungen weitere Daten, die Manning weitergegeben hatte: 303 Dokumente über Folterungen durch US-Truppen im Irak, Videos über Kriegsverbrechen in Afghanistan und die unmenschliche Behandlung der Gefangenen in Guantanamo.
Sie wird fast 1 Jahr unter schrecklichen Bedingungen in Einzelhaft gehalten: isoliert in einem Hochsicherheitstrakt des Militärgefängnisses in Quantico, in einer winzigen Zelle von 1,8 x 2,4 m; Verbot, Sport zu treiben; keinerlei Zugang zu Nachrichten und aktuellen Informationen; 20 minütige tägliche „Freistunde“ in einer größeren Zelle, gefesselt an Händen und Füssen; Rund- um- die Uhr-Beobachtung; häufige nächtliche Kontrollen mit Licht-Anmachen ; monatelang nackt schlafen ohne Bettwäsche und Kopfkissen, Morgenappell nackt vor der Zelle, usw.
2 Militärpsychiater, die sie untersuchen, bekunden später, die Haftbedingungen seien nicht gerechtfertigt gewesen, ihre Empfehlungen seien aber noch stärker ignoriert worden als in Guantanamo. 300 amerikanische Juristen protestieren dagegen in einer öffentlichen Erklärung: die Haftbedingungen seien herabwürdigend, unmenschlich, illegal und unmoralisch. Sie grenzten an Folter und könnten offenbar nur den Zweck verfolgen, künftige Whistleblower abzuschrecken. Dem UN-Verantwortlichen für Untersuchung von Folter Juan Mendez (einem Vorgänger von Nils Melzer) wird sogar mehrfach der Besuch des Gefängnisses verboten.
Erst weltweite Proteste , u.a. eine Petition mit weltweit 500.000 Unterschriften, ein Protest vom Ausschuss für Menschenrechte des BTags und von 60 Abgeordneten des EU-Parlaments, veranlassen Obama dazu einzugreifen. Als Manning nach einem Jahr endlich verlegt und die Bedingungen abgemildert werden, ist sie am Ende. Mehrfach hat sie Todesangst ausgestanden. Ihr Prozess wird rechtswidrig verzögert, erst nach 1,5 Jahren Haft beginnt endlich die Voranhörung, nach 2 J dann die Anklage: 22 Taten, davon 8 Taten nach dem berüchtigten Espionage Act von 1917. Dieses Gesetz gegen Spionage im 1.Weltkrieg erschöpft sich in völlig allgemeinen Tatdefinitionen, die in Deutschland als zu unbestimmt niemals Bestand hätten, droht aber drakonische Strafen an, bis lebenslang , ja u.U. auch die Todesstrafe. Verschiedene US-Politiker fordern sie gegen Manning: „Leaker should be executed.“
In der Voruntersuchung fallen bereits 2 schlimme Vorentscheidungen bei der Auslegung des Spionagegesetzes. Erstens: Whistleblower werden wie Spione behandelt, sie sollen grundsätzlich die menschenrechtlichen Garantien des Ersten Verfassungszusatzes (Meinungs- und Pressfreiheit ) nicht in Anspruch nehmen dürfen; und zweitens: es kommt für die Erfüllung der Straftatbestände des Espionage Act in keiner Weise auf die Motive der Tat an, mit der Folge, dass z.B. der Whistleblower, der Straftaten aufdeckt, gleichbehandelt wird mit jemand, der geheime Infos an ausländische Geheimdienste verkauft, um sich zu bereichern. Zeugen zu den Motiven Mannings werden daher erst gar nicht angehört.
Rain Hollander, später Verteidigerin im Berufungsverfahren Manning, dazu: Der Gesetzestext selbst sei nicht das größte Problem, sondern seine gerichtliche Auslegung. Man müsse gar keinem Feind helfen, sondern ein Akt des Enthüllens von Informationen reiche aus. Ein Abwägen öffentlicher Interesse sei nicht vorgeschrieben. Die Folge sei, dass ein Insider nie ein festgestelltes Fehlverhalten publik machen könne, wenn es nach Ansicht der Regierung um “nationale Sicherheitsinteressen” gehe. Darunter könne fast alles fallen. Zudem seien die Maßstäbe im Interesse der Exekutive im ständigen Wandel, was das Gesetz so gefährlich mache. “Wir müssen es stoppen”, betonte Hollander. “Es ist verfassungswidrig”, da es das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt
Mitte 2013 wird gegen Manning vor einem Militärgericht verhandelt. Der Prozess läuft weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur wenige Journalisten – von der Regierung handverlesen – erhalten eine Akkreditierung. Es gibt keine Abschriften der Protokolle, ganze Abschnitte werden in geheimer Sitzung verhandelt. Viele relevante Schriftstücken, die das Gericht verwendet, darf die Verteidigung nicht einsehen, obwohl der Verteidiger Combs eine Sicherheits-Unbedenklichkeitsbescheininigung hat. Offenbar geht es darum, die Verteidigung von Infos auszuschließen.
Während die Regierung über 100 Zeugen benennen konnte, wurden die Zeugen der Verteidigung meist abgelehnt. Nicht einmal der damalige UN-Berichterstatter für Folter, Juan Mendez, wurde angehört.
Soweit sich die Staatsanwaltschaft bemüht, nachzuweisen, dass durch die Veröffentlichung Menschen zu Schaden gekommen wären, scheitert das. Dennoch wird Manning insoweit verurteilt, weil sie „wahrscheinlich Schaden angerichtet hat“.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Gesamtstrafe von 60 Jahren gefordert, allein 10 Jahre für die Veröffentlichung des Videos Collateral Murder. Das Gericht verhängte dann 35 Jahre – eine Strafhöhe, die bis dahin nie gegen Whistleblower ausgeurteilt worden war - davon allein 2 Jahre für das Video. Für das Folterjahr im Gefängnis Quantico wurden Manning 122 Tage der Strafe erlassen (!) Sie legt Berufung gegen das Urteil ein.
Anfang 2017 begnadigt Obama kurz vor Ende seiner Amtszeit Manning. Am 17.Mai 2017 wird sie nach knapp 7 Jahren Untersuchungshaft entlassen.
Aber schon weniger als 2 Jahre später ist Manning ab März 2019 bis heute wieder in Haft, jetzt in Beugehaft für eine Grand Jury, die Beweise gegen Assange sammelt und bewertet. Sie weigert sich, gegen Assange instrumentalisiert zu werden und nimmt dafür auch Isolationshaft in Kauf. Weil die Grand Jury 2 Monate später endet, muss sie freigelassen werden. Aber schon nach einer Woche wird sie für eine andere Grand Jury mit gleichem Ziel wieder als Zeugin vorgeladen und nach Weigerung auszusagen, erneut in Beugehaft genommen, die nach US-Recht bis 18 Monate dauern kann, also bis November dieses Jahres. Zusätzlich soll sie pro Tag der Aussageverweigerung 1.000,-- $ zahlen. Sie leidet unter Panikattacken und Depressionen. In Verbindung mit der früheren Haft unter Extrembedingungen, in der sie auch aus Verzweiflung einen Suizidversuch unternommen hat, ist ihr Gesundheitszustand äußerst bedrohlich. Nils Melzer, der UN-Folterbeauftragte, hat daher im Januar 2020 die US-Behörden angeklagt, die fortwährenden Verschärfungen der Haft, mit unbekanntem Ende, erfüllten die Merkmale von Folter und unmenschlicher Behandlung. Manning selbst hat erklärt, zu Assange habe sie in ihrem eigenen Verfahren alles gesagt. Sie wolle lieber verhungern, als ihre Meinung ändern.
Nachtrag: am 13.3.20 wird Manning nach einem erneuten Suizidversuch aus der Beugehaft entlassen, aber nein: nicht aus humanitären Gründen. Das Bundesgericht befindet, ihre Aussage sei für das Verfahren vor der Grand Jury „nicht erforderlich“ (!)
4. Jetzt zu Assange
Ein geheimes Papier des US-Army Counter Intelligence Center stellte schon 2008 fest, WikiLeaks sei eine nachrichtendienstliche Bedrohung für die US-Armee und müsse stillgelegt werden. Und Mike Pompeo bezeichnete als CIA-Chef 2017 Wikileaks sogar als “nicht-staatlichen feindlichen Nachrichtendienst“. Trump sprach 2010 für Assange von „Todesstrafe oder was ähnliches“. Dabei kann WikiLeaks bis heute nicht vorgeworfen werden, irgendwann unter den hunderttausenden von Dokumenten auch nur ein gefälschtes Schriftstück veröffentlicht zu haben. Es war immer nichts als die Wahrheit.
Obama entschied, die fortwährenden Leaks und Whistleblowings mit dem „Espionage Act“ zu bekämpfen und dabei auch vor den Presserechten nicht Halt zu machen. Jeffrey Alexander Sterling hatte eine verdeckte CIAGeheimdienstoperation enthüllt, bei der dem Iran fehlerhafte Zeichnungen für die Konstruktion einer Atombombe übergeben werden sollten (!) . Um ihm das nachzuweisen, sollte der Journalist der NYT, James Risen, mit Beugehaft zur Preisgabe seines Informanten gezwungen werden. Risen wehrte sich mit einer Klage bis zum Supreme Court. Am 2.6.14 scheiterte er dort jedoch überraschend: er müsse seinen Informanten nennen oder in Haft gehen – ist das bereits das Ende des Informantenschutzes ?? Weitere 5 Whistleblower werden in den Jahren 2010 bis 2015 nach dem Espionage Act verurteilt. In diese Kette der Bestrafungen nach dem EspAct gehört auch 2013 das Urteil gegen Manning mit den beispiellosen 35 Jahren Gefängnis.
Assange weiß,was ihm blüht, wenn er in die Hände der USA gerät. Er bemühte sich um Asyl in einem Staat, der ihn nicht ausliefern würde. 2012 hat ihm Correa, der damalige Präsident von Ecuador, Asyl gewährt, später auch die Einbürgerung, was für Assange zusätzlichen Schutz versprach, da nach der Verfassung von Ecuador eigene Staatsbürger nicht ausgeliefert werden dürfen.
Über das Strafverfahren wegen Vergewaltigung in Schweden will ich nicht viel sagen. Nils Melzer hat unlängst in einem Interview mit der schweizer Zeitschrift Republik anhand der ihm zugänglichen schwedischen Akten klare Aussagen getroffen: die beiden Frauen haben im August 2010 bei der Polizei nicht von Vergewaltigung, sondern von einverständlichem Verkehr gesprochen. Es ging nur um die Frage, ob man von Assange einen HIV-Test verlangen könne. Gegen den Willen der Frauen wird aus den Angaben ein Verdacht auf Vergewaltigung konstruiert und das erste Anzeigeprotokoll von der Polizei nachträglich unzulässig abgeändert. Ohne die Frauen verantwortlich vernommen zu haben oder Assange dazu gehört zu haben, wird die Presse informiert – entgegen allen schwedischen Vorschriften zum Umgang mit derartigen Verfahren. 2 Stunden später erscheint „Expressen“ , die schwedische BILD-Zeitung, mit der Schlagzeile: „Assange der doppelten Vergewaltigung verdächtig“.
Der Verdacht eines Sexualdeliktes - besser konnte man die Solidarität mit Assange nicht aufbrechen. Viele wandten sich in der Folgezeit ab, obwohl das Verfahren immer wieder eingestellt wurde. Nach 10 Tagen hat Assange erstmals Gelegenheit zu dem - inzwischen nicht mehr wegen Vergewaltigung geführten - Verfahren bei der schwedischen Polizei auszusagen. Er kommt dahin als freier Mann. Am nächsten Tag steht wieder alles in der Zeitung! Nach einigen Wochen will Assange zu einer Konferenz nach Berlin. Die StA bestätigt ihm, dass er kurzfristig das Land verlassen dürfe, als er aber abgeflogen ist, beantragt sie einen Haftbefehl. Darauf geht Assange nach London und bietet weitere Aussagen in Schweden nur an, wenn ihm zugesichert würde, dass er nicht an die USA ausgeliefert würde – eine oft praktizierte Lösung. Schweden geht darauf nicht ein, ebensowenig auf das Angebot einer Videovernehmung, damals in 44 anderen Verfahren praktiziert. Statt dessen wird in London die Auslieferung Assanges nach Schweden verlangt. Als seine Rechtsmittel dagegen scheitern, flieht er im Juni 2012 in die Botschaft von Ecuador.
Zwar haben die USA das seinerzeit geleugnet, aber inzwischen ist es beweisbar: in dieser Zeit wird in den USA bereits an der Anklage gegen Assange gearbeitet, die Grundlage für ein Auslieferungsersuchen sein soll.
Für Assange folgen 7 lange Jahre in der Botschaft. Die Botschaft ist belagert von britischen Sicherheitskräften, die keinen Zweifel an sofortiger Festnahme lassen, falls er von dort zu fliehen versucht. Keine Chance, auch nur den Flughafen zu erreichen, um nach Ecuador zu kommen. Er lebt auf engem Raum. Kontakte sind eingeschränkt mit Rücksicht auf den Botschaftsbetrieb. Seine Perspektive dunkelt sich ein. Zeitweise bietet er an, sich in den USA zu stellen, wenn dafür Manning freikommen sollte. Aus Indizien folgert er, dass er akustisch überwacht wird. Mit seinen Anwälten trifft er sich vorbeugend auf dem Damenklo der Botschaft – selbst das ist verwanzt. Eine verspiegelte Scheibe wird eingebaut, das bedeutet auch optische Dauerbeobachtung. Assange lebt zeitweise im Zimmer im Zelt, um einen letzten Rest Privatsphäre zu haben. Heute wissen wir, dass eine spanische Spezialfirma sämtliche Gespräche – auch die mit den RAen – mitgeschnitten und der NSA zur Verfügung gestellt hat. Er hört, dass er vermutlich wie Manning nach dem EspAct angeklagt werde und sich in Alexandria in Virginia verantworten müsse. Nils Melzer dazu:
Das Urteil ist dort von vornherein klar. Das Verfahren wird immer von der selben Einzelrichterin geführt, hinter geschlossenen Türen und aufgrund geheimer Beweismittel. Niemand wurde dort in einem solchen Fall jemals freigesprochen.
Und es wird nach den Prinzipien, die im Manning-Prozess entwickelt wurden, keine Beweisaufnahme über seine Motive und alle für die Enthüllung wichtigen Umstände geben; festzustellen ist nur, ob er an der Veröffentlichung der Geheimpapiere irgendwie beteiligt war. Die Berufung auf die Garantien der Pressefreiheit wird ihm nicht zugebilligt. So kommen 175 Jahre Strafandrohung zu Stande, zu verbüssen in einem Hochsicherheitsgefängnis. Diese Aussichten schrecken auch einen früher starken Mann wie Assange.
Mit dem Präsidentenwechsel in Ecuador zu Lenin Moreno im April 2017 ändert sich auch die Lage für Assange. Moreno will Assange aus der Botschaft haben. Assange wird die Heizung und das Internet abgeschaltet. Dann Besuchsverbot. Aber er geht nicht. Moreno verhandelt mit den USA und GB. Es floss viel Geld, es gab geheime Zusatzgeschäfte, man einigte sich auf die Auslieferung an GB.
Am 11.April 2019 in den frühen Morgenstunden wurde ohne Vorankündigung oder Gewährung von vorgesehenen Rechtsmitteln mit sofortiger Wirkung a) Assange das Asyl entzogen, weiter b) Scotland Yard in die exterritoriale Botschaft eingelassen; c) Assange -noch Bürger von Ecuador - zur Festnahme ausgeliefert und d) Assange danach die Staatsbürgerschaft Ecuadors aberkannt- eine monströse Anhäufung von Rechtsbrüchen. Morenos Vorgänger Correa wertete das Verhalten des Staatspräsidenten als „einen der schrecklichsten Akte, die jemals aus Servilität, Bosheit und Rachsucht ausgebrütet wurden“, und bezeichnete seinen Nachfolger als „Verräter“, der Ecuador demütige.
Wir haben die Bilder vom Abtransport Assanges aus der Botschaft gesehen und waren erschüttert: ein von der langen Sonderhaft in der Botschaft sichtlich gezeichneter, verwahrloster Greis, unsicher auf den Beinen , wird da abgeschleppt. Ich habe nachgesehen: noch keine 48 Jahre war er da alt.
Assange wird in das Belmarsh-Gefängnis in London eingeliefert, eine Hochsicherheitsanstalt für Mörder und Terroristen. Dabei steht nur eine Ungehorsamstrafe an für die Verletzung von Auflagen durch die Flucht in die Botschaft, eigentlich eine Angelegenheit für eine Geldstrafe. Höchststrafe sind 12 Monate Gefängnis, Assange werden 11 Monate aufgebrummt, so als Startschuss, was ihn von Seiten der britischen Justiz erwartet. Offensichtlich geht es darum, in der Zeit der Ungehorsamshaft den USA Zeit zu geben, das Auslieferungsverfahren weiter vorzubereiten.
Die Haftbedingungen für Assange in Belmarsh sind skandalös: strikte Einzelhaft, mangelnde medizinische Versorgung, Einschränkung von Besuchen, Erschwerung des Kontakts auch zu seinen Anwälten, Wegnahme oder Vorenthalten von Prozessunterlagen, Verbot der Nutzung eines laptops: elementare Verfahrensrechte werden verletzt.
Aufschlussreich ist dazu das Interview, dass Nils Melzer am 22.Januar 2020 mit telepolis geführt hat. Dort berichtet er, dass er im Mai 2019 in Belmarsh Assange besucht hat, zusammen mit 2 Ärzten und ausgewiesenen Folterexperten. Dabei hätten sie bei Assange Symptome festgestellt, die für Folteropfer typisch sind, vor allem nach lange andauernder psychologischer Folter. Generell äußert sich das in einem permanenten, extrem erhöhten Stresslevel sowie schwerwiegenden Angstzuständen und Depressionen im pathologischen Bereich, was sich in einem posttraumatischen Stresssyndrom manifestiert. Bei entsprechenden Tests hätten sie festgestellt, dass der Assange gewisse kognitive Fähigkeiten verloren hatte. Melzer weiter wörtlich:
Was ich selber in den Gesprächen mit Herrn Assange beobachten konnte, hat mich sehr an andere politische Häftlinge erinnert, die ich im Laufe meiner Karriere besucht habe. Er stellte mir unablässig Fragen, und sobald ich eine beantworten wollte, sprang er bereits zur nächsten Frage. Er konnte meine Antworten gar nicht mehr richtig verarbeiten. Der emotionale, mentale und neurologische Overload war offensichtlich. Er hatte in gewisser Weise die Bodenhaftung verloren. Ich habe ihn zwar als einen sehr intelligenten und rationalen Menschen erlebt, aber doch bereits ziemlich losgelöst von seiner Umgebung und der Fähigkeit, auf diese Umgebung Einfluss zu nehmen. Das habe ich häufig erlebt bei Menschen, die über längere Zeit machtlos einer zutiefst feindlich-willkürlichen Umgebung ausgesetzt waren, in der sie sich nicht einmal mehr auf den Schutz ihrer fundamentalen Rechte verlassen können.
Solch schwerwiegende Symptome entwickeln sich nicht in ein paar Wochen, sondern über mehrere Monate oder gar Jahre hinweg. Der Zustand, den wir feststellen konnten, war also primär eine Folge der zutiefst willkürlichen Umstände, in denen Herr Assange in der ecuadorianischen Botschaft hatte leben müssen. Ich hatte nach dem Besuch in Belmarsh in Briefen an die beteiligten Staaten geschrieben, dass sich der Zustand von Herrn Assange, wenn die Lage nicht stabilisiert wird, sehr schnell verschlechtern kann. Und das ist ja genau das, was später geschehen ist. Nur neun Tage nach meinem Besuch wurde er in die Krankenabteilung des Gefängnisses eingeliefert und offenbar unter Suizidbeobachtung gestellt.
Was für ein Widersinn! Derjenige, der über WikiLeaks hunderte von Folterverbrechen in Afghanistan und Irak aufgedeckt hat, wird jetzt so misshandelt, dass er selbst klassische Symptome von Folter aufweist. Und soll ausgeliefert werden an den Staat, der Leute seines Schlages behandelt wie Manning, also wieder unter folterähnlichen Bedingungen gefangen hält.
Es handelt sich um ein kriminelles Komplott von Schweden, GB, USA und Ecuador: Schweden war nicht ernsthaft an Aufklärung der angeblichen Sexualdelikte interessiert, sondern wollte Assange unbedingt für eine Aussage in Schweden haben, um ihn dann an die USA auszuliefern (rechtlich einfacher als aus GB). Ecuador vergällt ihm unter Moreno den Aufenthalt in der Hoffnung, dass er selbst rausgeht . Als das nicht funktioniert, liefern sie ihn aus. Die USA bestreiten zwar lange, Assange haben zu wollen, bereiten aber heimlich und intensiv eine Anklage vor und verbergen, als sie dann die Auslieferung verlangen, dass sie nach dem EspAct vorgehen wollen. In dem möglicherweise länger dauernden Auslieferungs-Haft verfahren richtet GB Assange durch seine Haftbedingungen weiter zu Grunde.
Und unsere Leitmedien? - Sie halten ihr Bild von dem üblen Vergewaltiger und mit zweifelhaften Methoden gescheiterten Enthüller aufrecht, der kein richtiger Journalist sei, zu Recht bestraft werden müsse und keinesfalls Solidarität verdiene. Die Enthüllungen von Nils Melzer zu dem kriminellen Staatskomplott und seine Foltervorwürfe bezüglich der Haftbedingungen bei Manning und Assange werden verschwiegen. Seine offiziellen Proteste als zuständiges UN-Organ für die Einhaltung der Anti-Folter-Konvention bei den Regierungen von USA, GB und Schweden (alle auch Vertragsstaaten der Konvention) werden rechtswidrig gar nicht beantwortet oder pauschal zurückgewiesen. Und unsere Medien schweigen: Ein Skandal, der nicht hochkommt, weil er nicht berichtet wird.
Can Dündar schrieb in der letzten Woche:
„Wir haben nur eine Nachricht an die Regierungen, die Journalisten bestrafen, die ihre Verbrechen ans Licht bringen: „Wenn du nicht möchtest, dass deine Verbrechen ans Licht kommen, dann begehe keine Verbrechen. Solange ihr Verbrechen begeht, ist es unsere Pflicht – selbst auf die Gefahr hin, verhaftet zu werden – das Volk über dieses Verbrechen zu informieren.“
Manning und Assange brauchen Unterstützung, sie brauchen unsere Solidarität, sie brauchen unseren Protest!
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Erstellt am: 14.03.2020
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